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Mein Herz klopft ziemlich, als ich mich zu der Gruppe mir noch unbekannter Gesichter hinzugeselle, die vor dem Mietwagenverleih steht. Viele haben einfach einen großen Reiserucksack mit, während ich mit meinem Monstrum von Koffer etwas verschämt dastehe. Mein Gedanke: „Wie zur Hölle haben die ihre ganzen Arbeitsklamotten da drin?“

Eine halbe Stunde später geht die Fahrt in meinen ersten Grabungssommer auch schon los. Ich bin eine der Glücklichen, die trotz der Covid19-Umstände Teil des Teams unter Prof. Dr. Stöllner sein darf, das schon viele Jahre auf dem Troiboden am Mitterberg im schönen Nachbarland Österreich den bronzezeitlichen Bergbau ergräbt.

Ehrlich gesagt? Ich reise eigentlich nie. Ja, vielleicht etwas blöd, wenn man Archäologie studiert, aber irgendwie kam das halt nie zustande, okay? Also ist der vierwöchentliche Aufenthalt in einer komplett fremden Umgebung schon ganz schön nervenaufreibend. Dazu kommen all die neuen Gesichter und Aufgaben. Und nicht nur das: Ich bin doch nur eine Bachelorstudentin und war noch nie graben! Was ist, wenn ich etwas total Dummes sage oder tue? Ich will mich nicht blamieren. Meine Freunde, die bereits an einer Ausgrabung teilgenommen haben und die ich in meiner Nervosität in den Wochen zuvor nach Informationen ausgequetscht habe, sagen mir, dass mir das auf keinen Fall passieren kann und es bestimmt super wird. Also vertraue ich mal darauf.

Bergpanorama


Nachdem wir kurz nach München die Autos abgegeben haben, werden wir von den Leuten, die schon einige Zeit zuvor zum Mitterberg gefahren sind, abgeholt. Da wir auf ca. 1400 Meter Höhe leben werden, geht es natürlich etwas bergauf. Die total beruhigende Fahrt, wenn man mal von der Tiefe der steinigen Abhänge links und rechts vom Auto absieht, hat mich aber schon gefangen genommen und steigert meine Vorfreude auf unser Endziel. Und dann sind wir auch schon da: Die Jugendherberge, die unser Grabungsteam komplett belagern wird. Seltsamerweise ist das Erste, was mir als Stadtkind auffällt die friedliche Stille – wenn man denn das konstante Läuten der Kuhglocken, die auf den Wiesen grasen, ignorieren kann. (Ob mir das gelungen ist, verrate ich euch am Ende des Blogs.) Nachdem ich mich also mit meiner Zimmernachbarin bekannt gemacht und das zuvor erwähnte Monstrum die Treppen hochgehievt habe, werden wir zum Essen gerufen. Wir haben eine kleine Gruppenbesprechung und schon bald heißt es Schlafenszeit für uns, denn morgen geht es früh los. Also lege ich mich in mein Bett, schalte mein Licht aus und schlafe voller Vorfreude auf den ersten Arbeitstag ein.

Und natürlich regnet es.

Okay, ja, mir wurde berichtet, dass das mal vorkommen kann. Dadurch lassen wir uns nicht die Laune verderben und da wir Gummistiefel und Regenjacken haben, geht es trotzdem los für uns. Genauer gesagt geht es den Berg hoch zur nächsten Hütte. Zu Fuß mit den Sicherheitsgummistiefeln, die eine supertolle Stahlkappe vorne installiert haben – für das extra gute Gefühl am Fuß. „Nun gut“, denke ich mir und wir stiefeln los. Als wir auch dieses Hindernis ohne weitere Zwischenfälle gemeistert haben und alle Materialien für das Grabungszelt (auch wenn ich mir nach dem Aufstieg eher ein Sauerstoffzelt wünsche), welches unseren Schnitt vor dem Wetter schützen soll aus einer Hütte hervorgeholt haben, fahren wir mit Sack und Pack den Berg weiter hoch auf ca. 1600 Meter Höhe zum Troiboden. Ich sehe den weißen Bus um die Ecke fahren, der uns hochfährt und schicke ein Stoßgebet an den Himmel, dass ich nicht hochlaufen muss. Generell ist mir schnell aufgefallen, dass plötzlicher Glaube auf der Grabung eine große Rolle für mich spielte, denn dieses Gebet war wirklich nicht das letzte, welches ich ausstoßen sollte.

Als wir aussteigen, frage ich mich, ob wir wohl auch kleine Paddelboote zur Verfügung gestellt bekommen, was übrigens nicht der Fall ist.

Für die, die es nicht wissen, aber es handelt sich hier um ein Hochmoor. Ein falscher Schritt und dein Gummistiefel ist demnach Geschichte. Die ganzen Stangen und Materialien des Zeltes mussten natürlich erst einmal über den überschwemmten Trampelpfad ihren Weg zum Schnitt finden, so wird es mir erklärt. Meine Überraschung darüber, dass sich unter dem Wasser ein Trampelpfad befindet, behalte ich für mich und lächle einfach darüber hinweg. Mit stampfenden Schritten und äußerst zweideutigen Geräuschen folge ich den anderen also, die für mich gefühlt wie junge Rehe durch das Moor hüpfen. Nach nur ein- oder zwei-maligem Ausrutschen (Na gut, vielleicht auch mehr, aber wer zählt schon mit) gewöhne ich mich jedoch an den Weg und helfe den anderen, die Stangen und Planen zur Fläche zu tragen. Eventuell bin ich auch hier mehrmals versunken, aber das sollte in den nächsten Wochen sowieso noch häufiger passieren.

Schnell wird mir bewusst, wie beliebt der Zeltaufbau unter allen Teilnehmern ist. Schließlich macht es Spaß, ein Zelt aufzubauen, auf einer unebenen Fläche im strömenden Regen. Da ist gute Laune vorprogrammiert.

Irgendwann ist jedoch auch diese Aufgabe gemeistert und der erste Tag vergeht schnell. Die Schnittleitung erzählt mir etwas über die Schnitte und Profile. Hierbei versuche ich professionell mein Nichtwissen mit einem Lächeln zu überspielen, da ich ehrlich gesagt keine Ahnung habe, was sie da überhaupt meinen. Aber morgen würde ich schon mehr sehen. „Warte mal, bis alles saubergeputzt ist! Dann erkennst du alles richtig“, meint eine Kollegin lachend. Ich stimme mit in das Lachen ein. „Aber warum und wie zur Hölle putze ich denn Schlamm?“, denke ich mir auf der Rückfahrt.

Und auch wenn es am zweiten Tag immer noch hier und da regnete (vielleicht haben wir in der ersten Woche auch nicht einmal die Sonne gesehen, aber sagt es nicht weiter) sollte es für mich heute ans Werkzeug gehen. Das Stadtkind lernt hierbei auch direkt, dass es tatsächlich einen Unterschied zwischen Spaten und Schaufel gibt, als ich einem Kollegen das falsche Gerät anreiche. Zunächst helfe ich beim Eimern, Schaufeln und Widerhopfen in der Rösche mit, sozusagen dem Abwassersystem, da der Schnitt ansonsten eher gleich dem sagenumwobenen Atlantis wäre. Auch schön, aber nicht das, was wir uns in diesem Fall wünschen. Wenn ihr euch an die Stille erinnert, von der ich euch gerade noch erzählt habe, muss ich euch jetzt leider enttäuschen, da wir mit unserer Pumpe, die immer vorzüglich funktionierte und nie mit den österreichischen Wassermassen überfordert war, wahrscheinlich so laut wie ein Metalkonzert in Wacken waren. Ich lerne auch schnell, dass Erde, die sich mit Wasser vollgesogen hat, wesentlich schwerer ist und danke mal wieder einem Gott namens Engelbert Strauss für die festen Handschuhe, die ich mir für die Kampagne gekauft habe, während wir fleißig Eimer um Eimer auf Haufen außerhalb der Rösche schütten. Hierbei trennen wir Torf von normalem Schutt, denn wenn man schon so in die Natur eingreift, sollte man wenigstens höflich genug sein, mit dem Torf, der lange braucht, bis er gebildet ist, das etwas gestörte Ökosystem zu unterstützen und ihn am Ende wieder oben aufzuschütten.

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Dann ist es endlich soweit! Spät am zweiten Tag heißt es: „Jacqueline, komm mal zu uns in den Schnitt.“ Mein Herz klopft schnell und ich zittere vor Freude, zu mindestens hauptsächlich, denn über alpine Temperaturen reden wir nicht. Als mir meine Kollegen sagen: „Putz den Schnitt!“, bin ich genauso verwirrt wie am Vortag. Wie putze ich Dreck? Warum putze ich den Dreck? Was kann mein Dreck?

Für alle nicht-Archäolog:innen: Ja, man kann Erdschichten putzen und sie können tatsächlich krümelig sein. Dieser Prozess ist je nach eigenem pedantischem Verhalten unterschiedlich anstrengend. Schnell lerne ich, wie man Geräte richtig benutzt. Hierzu gehören die legendäre Archäologenkelle und der Winkelkratzer. Als Gelsenkirchenerin finde ich den Fußballvergleich hier wirklich sehr passend: Man ist entweder für das eine oder andere. Beides zusammen funktioniert irgendwie nicht.

Ich persönlich hatte mich übrigens schnell in Winkelkratzer verliebt, die ab diesem Zeitpunkt mein favorisiertes Gerät wurden und mit denen ich mich durch die feuchten Erdschichten wuselte. So haben wir am Troiboden nämlich gearbeitet: nach Stratigraphie. Hierbei könnte es eventuell Probleme geben, wenn dir die Leitung sagt: „Nimm mal die schwarze Schicht da ab!“ Schwarze Schicht? Aber es ist doch alles irgendwie schwarz? Tatsächlich gewöhnt man sich aber doch irgendwann daran, die einzelnen Schichten zu erkennen und irgendwie lieb zu gewinnen. Jeder, der mal Schluff in der Hand hatte und ihn geformt hat wie weiche Knete, weiß, was ich meine.

Tatsächlich stellt sich heraus: Putzen macht wesentlich mehr Spaß als Zeltaufbauen! Und nach reichlichem Abputzen der Schicht, die ich nicht wirklich gesehen, aber ihre Existenz auch nicht angezweifelt habe, war da etwas Seltsames in der Erde. Ich schabe leicht mit meinem vertrauten Winkelkratzer darüber und es fühlt sich komisch an. Jeder nicht-Archäologe wird sich jetzt denken: Wie kann sich Erde denn anders anfühlen? In der Realität ist das wirklich so. Wenn man mit einem zweiten Objekt über die Erdschichten kratzt, fühlen sich nicht nur die unterschiedlichen Schichten anders an, sondern man kann auch fremde Objekte in der Schicht erfühlen. Klingt von außen vielleicht ein wenig poetisch, wird aber später sehr hilfreich, wenn man die Schichten en detail beschreiben muss. Nun beuge ich mich also gespannt über meine Entdeckung und frage meine Kollegin, ob ich verrückt bin oder ob das mehr als ein bloßer Stein ist. Nachdem sie im Vergleich zu mir für gefühlt eine halbe Sekunde draufgeschaut hat, meint sie: „Joa, das sieht nach Keramik aus.“ Mir stockt der Atem. Ich weiß ganz genau, was ich studiere, aber zum ersten Mal wird mir wirklich bewusst, was das bedeutet: Hier vor mir habe ich gerade mein erstes Stück Keramik ausgegraben, etwas, das ein Mensch zur Bronzezeit angefertigt und in den Händen gehalten hat. In einer leichten Schockstarre sitze ich da und ein warmes Gefühl des Stolzes macht sich in mir breit. Ein kleiner Schritt für andere, aber ein Riesenschritt für mich. Mit einem Lächeln frage ich mich: Und? Bin ich jetzt eine Archäologin?

Gerade als ich jedoch mein Stück Keramik aus der Schicht befreien will, bekomme ich die kalte Dusche, aber diesmal nicht in der Form von Regen: „Aber lass es noch so liegen, wir können ja noch nicht einschätzen, auf welcher Erdschicht die Keramik aufliegt.“ Was? Jetzt darf ich meinen Fund nicht malausgraben und muss warten? Vielleicht habe ich zum allerersten Mal in meinem Leben den kleinsten Funken Verständnis für Herrn Schliemann entwickelt, als ich diese Worte höre, aber schiebe den Gedanken schnell zur Seite. Vernünftige Forschung muss sein. Allerdings kann ich meine neugierigen Blicke auf meine Keramik nicht unterlassen.

So arbeiten wir die nächsten Wochen weiter. Mal helfe ich in der Rösche, mal im Schnitt. Es wird aber nie langweilig und wir haben immer genug zu tun. Und trotz des Regens, trotz der lauten Pumpe, trotz der auf einmal grell scheinenden Sonne während des Fotografierens, geht die Zeit viel schneller rum, als man denkt. Alle Alteingesessenen zeigen mir, wie ich richtig dokumentiere, zeichne, fotografiere, Schichten interpretiere, Funde aufnehme und viel mehr. Ich danke es ihnen prompt, indem ich einen der Funde aus Versehen beim Umdrehen mit meinem Gesäß anstupse und zerstöre. So geht das Spiel der Lehrer und des Schülers immer weiter.

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In meiner dritten Woche sehe ich mir noch die Fundbearbeitung an, die die Funde vernünftig säubert, die Tüten richtig beschriftet, die Funde fotografiert und sie auf das Papier bringt. Endlich, denke ich, kommt meine Stunde als Möchtegern Picasso. Seltsamerweise muss ich feststellen, dass Zeichnungen von Hölzern doch irgendwie eigentümlicher sind, als man denkt und die Jahresringe mich schnell zur Verzweiflung bringen. Warum wachsen Bäume auch nicht alle gleich? Du seist verdammt Natur! Trotzdem macht es unglaublich viel Spaß, über die verschiedenen Bearbeitungstechniken und Bearbeitungsspuren auf den Hölzern nachzudenken und sich ein wenig in die Zeit eines bronzezeitlichen Menschen zu versetzen.

So leben wir tagaus tagein, wir arbeiten zusammen, verbringen den Feierabend und das Wochenende zusammen, an denen oft Ausflüge in die Umgebung anstehen. Zugegebenermaßen bestehen diese Ausflüge im alpinen Raum zu 99 % aus Wandern, welches mir eigentlich verhasst ist. Meine Meinung hat sich diesbezüglich auch nicht wirklich verändert, wenn ich denn ehrlich bin, aber die Aussicht war es auf jeden Fall wert!

Und dann waren plötzlich vier Wochen um. Meine Panik war verflogen und mein Herz war schwer und nicht etwa, weil ich so gelitten habe. Nein, denn ich wollte gar nicht mehr nach Hause. Das Reisefieber hatte mich im eisernen Griff und Österreich hatte ich in mein Herz geschlossen. Das Lustigste daran ist: Ich bin mit mehr Fragen abgefahren, als ich hergekommen bin. Sieht man sich diese Fragen aber mal an, gibt es da doch einen Unterschied:

Von „Wie soll ich das bloß schaffen?“ zu „Wie hat der gute bronzezeitliche Mensch das wohl geschafft?“

Von „Was ist, wenn ich versage?“ zu „Was hat der bronzezeitliche Mensch daraus gelernt, wenn er sein Material zerstört hat?“

Von „Was kann ich denn schon da helfen?“ zu „Wie hat der bronzezeitliche Mensch sich in dieser Situation geholfen?“

Natürlich können Selbstzweifel nicht von heute auf morgen verschwinden, aber meine Neugier für das Fach wurde noch mal komplett neu entfacht. Meine Ansichten haben sich verschoben, meine wissenschaftlichen Fragen haben sich vertieft und die Archäologie hat sich so in mein Herz gebrannt, wie man es mit Keramik in einem Ofen macht.

Für alle, die noch ihre ersten Grabungen vor sich haben, ein Tipp: Vertraut mir, es wird besser. Die ersten ein oder zwei Tage weiß man vielleicht noch nicht, wohin mit sich oder man unterschätzt die körperliche Anstrengung. Ich gebe zu, dass ich nach meinem ersten Tag vollkommen am Ende war. Doch vor allem das wunderbare Team, die gute Arbeitsatmosphäre und das Wissen, welches ich auf dieser Grabung mitnehmen durfte, werde ich in meiner gesamten Laufbahn nicht mehr vergessen. Auch wenn ich ein wenig Ironie hier und da in die Geschichte mit hineinträufle, ist sie doch genauso, Gott sei mal wieder Dank, passiert und ich wünsche jedem, der auf seine erste Grabung fährt genauso viel Spaß, wie ich ihn gehabt habe.

Und übrigens: Nein, ich habe Berthas Kuhglocke bis zur letzten Minute (gerne) gehört.

Bergpanorama
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Jacqueline Gödde

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