Ich befinde mich in Österreich. Genauer gesagt im Arthurstollen nahe Bischofshofen und versuche, eine bronzezeitliche Fundstelle zu erreichen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Fundstelle befindet sich am tiefsten Punkt des Bergwerks. Schritt für Schritt arbeite ich mich den engen Weg hinunter. Unten angekommen, erkenne ich erst mal nichts. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Abstieg abenteuerlicher war als erwartet. Ich brauche kurz, um anzukommen. Ich merke, wie ich mich unter Tage immer wohler fühle. Mein Kollege Nicolas Schimerl zeigt mir 3.500 Jahre alte Holzstempel. Holzstempel? Das sind Holzstämme, die zwischen den „Wänden“ – im Fachjargon Stöße genannt – verkeilt sind. Sie schützen die Grube vor dem Bergdruck und dadurch vor dem Einstürzen.
Im Arthurstollen befinden sich aktuell drei bronzezeitliche Fundstellen in drei verschiedenen „Bauen“ und Strecken: Die Firststrecke befindet sich über dem Stollen. Der Deckelbau und der schon erwähnte Tiefbau befinden sich unterhalb des Stollenniveaus. Der Einstieg in den „Tiefbau“ wird vom Team rund um Prof. Dr. Thomas Stöllner „Geburtskanal“ genannt, da diese Stelle extrem eng ist.
Der Blick nach oben. Ich stehe auf der Sohle des Deckelbaus. Um wieder nach draußen zu gelangen, muss man die Leitern senkrecht nach oben klettern. Hier sieht man auch die Holzstempel, die sich im Deckelbau und Tiefbau finden.
Ich stehe dort, wo in der Bronzezeit Menschen Kupfererz abbauten. Hätte man mir letztes Jahr erzählt, dass ich jemals eine archäologische Grabung besuche und dazu noch in einem Bergwerk stehen werde, hätte ich das nich geglaubt. Nie im Leben wäre ich als Historikerin auf die Idee gekommen, unter Tage zu arbeiten. Eigentlich wollte ich doch nur in einem Museum arbeiten und dort spannende Ereignisse aus der Vergangenheit erzählen. Doch heute begleite ich Archäolog:innen des Deutschen Bergbau-Museums und Student:innen der Ruhr-Universität Bochum bei ihren Grabungen. Sie folgen den Spuren des bronzezeitlichen Kupfererzes von seinem Abbau bis zur Verarbeitung. Da ich selbst keine Ahnung von Archäologie, geschweige denn von der archäologischen Arbeit habe, darf ich im Rahmen meines Volontariats einige Tage zuschauen.
Der Tag beginnt früh. Frühstück ab 6:30 Uhr, Abfahrt zu den Grabungsflächen um 7:30 Uhr. Dann bereiten wir unsere Ausrüstung vor, ziehen unsere Schlaze – Overalls – und festes Schuhwerk an. Auch Helm, Lampe und Handschuhe dürfen nicht fehlen. So ausgerüstet fahren wir ein. Das heißt, wir laufen den Stollen entlang bis zu den verschiedenen Fundstellen. Im Stollen ist es kalt und Nebel verschleiert die Sicht. Aus der Dunkelheit leuchten mir die Reflektoren eines Grubenfahrrads entgegen. Ich habe eine ungefähre Ahnung, was mich erwartet. Trotzdem ist der Tag gleich zwei Mal eine Premiere für mich: Ich bin zum ersten Mal auf einer archäologischen Grabung und auch zum ersten Mal so richtig unter Tage. Der Bereich ist für die Öffentlichkeit nämlich nicht zugänglich.
Bei der ersten Fundstelle angekommen, jagt mein Kollege mich mehrere Leitern senkrecht nach oben. Es ist eng und rutschig, aber die Neugier siegt. Oben angekommen, betrete ich den „Petersdom“. Diese kleine Halle ist nach unserem Kollegen benannt, der sie 2012 entdeckte. Hier kann ich gerade noch aufrecht stehen. Doch an die Halle schließt sich ein sehr schmaler, niedriger Gang an. Aufrecht stehen ist nicht mehr möglich, daher rutschen und kriechen wir auf allen Vieren weiter, bis wir das sogenannte Profil erreichen. In einem Profil erkennt man verschiedene Schichten, die die Archäolog:innen bisher abgegraben haben.
Die Profile werden von Hand gezeichnet. Hier seht ihr das Profil der Firststrecke.
Meine Aufgabe ist es, Nicolas Schimerl bei der 3D-Dokumentation der verschiedenen Baue zu unterstützen. Wir klettern in der Firststrecke – das ist der höchste Punkt des Bergwerks – und den Deckelbau – dieser geht einige Meters senkrecht nach unten. Beide Fundstellen erreichen wir gut über Leitern – sogenannte Fahrten. An den jeweiligen Fundstellen angekommen, machen wir mit einer Kamera viele, sich überlappende Fotos. Sobald wir einen Bau dokumentiert haben, fahren wir aus. Draußen wartet schon der Laptop, mit dem wir die gemachten Fotos verarbeiten. Daraus wird dann ein 3D-Modell des Bergwerks erstellt. Jetzt könnt ihr unter www.sketchfab.com/3-DBM Teile des Arthurstollens selbst erkunden!
Während wir die Baue dokumentieren, arbeiten unsere Kollegen am Ausbau des Stollens und der Sicherung der Fundstätte. Gleichzeitig wird auch gegraben. In der Firststrecke zeichnet ein Kollege ein Profil. Wie bei einem Tortenstück sieht man im Profil die unterschiedlichen Schichten. Das gibt uns Auskunft darüber, wie die Arbeit im Bergwerk vor 3500 Jahren ablief. Dazu wird nicht nur gezeichnet, sondern es werden auch Proben genommen und Funde katalogisiert. Nach Schichtende um 16 Uhr packen wir alles zusammen und schälen uns aus den Schlazen. Diese sind dreckig und nass – da ist man froh, wenn man sich wieder trockene und warme Kleidung anziehen kann. Auf dem Heimweg besprechen wir den weiteren Tag, denn Feierabend ist noch lange nicht in Sicht.
Im Grabungshaus angekommen, heißt es erst mal kurz Pause machen, duschen und einen wohlverdienten Kaffee trinken. Dann geht es wieder an die Laptops. Meine Kolleg:innen prozessieren Daten, nehmen Funde auf, zeichnen Grabungsflächen und bereiten die Ausrüstung für den nächsten Tag vor. Währenddessen kocht das Küchenteam das Abendessen. Ich selbst erledige meine „normale“ Büroarbeit für unsere neue Sonderausstellung. Vor einigen Tagen habe ich ein Interview mit Thomas Stöllner über die kommende Sonderausstellung und seine Arbeit geführt. Das könnt ihr hier auch bald sehen und lesen. Gegen 21 Uhr gibt es Abendessen. Danach folgen letzte Besprechungen über den heutigen Tag und das weitere Vorgehen. Gute Absprachen sind wichtig. Nur so können unter Tage alle sicher ihre Arbeit machen.
Irgendwann am Abend gönne ich mir eine kleine Auszeit vom Trubel des Grabungshauses. Ich setze mich auf eine Bank etwas abseits. Neben mir plätschert ein kleiner Bach und ich habe einen freien Blick auf die Alpen. Auch die ersten Sterne zeigen sich schon. Ich lasse den Tag Revue passieren. Ich habe viel mitgenommen. Archäologie ist weit mehr, als nur mit Pinsel und Kelle Erdschichten abzutragen. Es geht darum, vergangene Lebenswelten zu erforschen und Arbeitsweisen nachzuvollziehen. Ein Großteil der Arbeit ist mühsam – etwa die detaillierte Fundaufnahme. Doch aus genau dieser Detailarbeit entsteht ein umfassendes Bild. Wir wissen heute, wie die Menschen in der Bronzezeit Kupfer abbauten und aufbereiteten. Das Mitterberger Revier war ein wichtiges Zentrum für die Kupferversorgung Europas. Aus dieser Region kommt beispielsweise auch das Kupfer der weltweit bekannten „Himmelsscheibe von Nebra“. Es ist faszinierend, welche Netzwerke sich hier zeigen. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, habe ich ein paar Literaturtipps für euch am Ende dieses kurzen Beitrags.
Ich bin sehr froh, dass mich das Grabungsteam rund um Thomas Stöllner so herzlich aufgenommen und jede meiner Fragen ausführlich und geduldig beantwortet hat!
Tipps und Links:
- www.sketchfab.com/3-DBM
- Stöllner, Thomas; Oeggl, Klaus (Hgg.): Bergauf bergab. 10.000 Jahre Bergbau in den Ostalpen. Bochum 2015.
- Thomas, Peter: Studien zu den bronzezeitlichen Bergbauhölzern aus dem Kupfererzbau des Mitterberggebietes. Bochum 2019.
- Turck, Rouven; Stöllner, Thomas; Goldenberg, Gert: Alpine copper II – Alpenkupfer II – Rame delle Alpi II – Cuivre des Alpes II. New results and perspectives on prehistoric copper production (Der Anschnitt. Beiheft), Bochum 2019.