Meine erste Ausgrabung rückte näher und mit jedem Tag wuchs bei mir die Spannung, schließlich hatte ich nur vage Vorstellungen davon, wie es sein würde. Klar, ich wusste es würde nach Sardinien gehen, genauer gesagt auf eine kleine südlich vorgelagerte Insel – Sant’Antioco. Auch wusste ich, dass es sich um das Projekt „Landschaft machen“ von Frau Prof. Dr. Constance von Rüden handelte. In erster Linie war ich jedoch aufgeregt und voller Vorfreude, denn mir war klar, dass ich großartige Erfahrungen machen und fantastische Menschen treffen würde.

Das Ziel war es mehr über die Nuraghenkultur, deren Bauwerke und Keramiken herauszufinden. Daher gruben wir auf einer felsigen Erhöhung namens Gruttiacqua, auf welcher sich die Spuren einer Nuraghe samt einiger Capannas (Hütten) aus der Mittel- bis Spätbronzezeit befinden. Einiges kennt ihr sicher schon von Instagram und Twitter oder aus der Podcastfolge mit Tim.

Den größten Teil der Arbeit machte – natürlich – das Graben selbst aus. Bei sommerlichen Temperaturen ist dies eine anstrengende Tätigkeit, die gleichzeitig sehr erfüllend ist und ich daher genossen habe. Hierzu trug das Team einen großen Teil bei, denn es gab mir stets das Gefühl aufgenommen und angenommen zu sein. Außerdem stellte es einen perfekten Ausgleich zum Studentenalltag dar, der geprägt ist vom vielen Lesen und Schreiben. Zudem ist so eine Grabung auch ein kleines Abenteuer.

 

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Wir mussten jeden Morgen den Weg zur Ausgrabungsstelle – im Archäologenjargon auch „Fläche“ genannt – hinauflaufen. Wir fuhren mit Jeeps durchs Gelände und waren von Palmen, Macchia, Oliven und Felsgestein umgeben sowie der heißen Mittagssonne ausgesetzt. Da kommt schon ein bisschen Indiana Jones Feeling auf – nur dass wir im Gegensatz zu Herrn Jones mehr als nur „Schätze“ suchen. Auf der Fläche belohnte uns ein traumhafter Blick auf das Tal und das dahinterliegende Meer. Gleichzeitig sah man jeden Morgen die Fortschritte, die man am Tag zuvor gemacht hatte, die Mauern wurden deutlicher sichtbar und gleichzeitig häufte sich in der Fundbearbeitung die Keramik.

Ein Teil der Arbeit bestand daraus die Fläche zu putzen. Das bedeutet immer vorsichtig etwas lose Erde/Sediment mit der Kelle und/oder dem Winkelkratzer aufzusammeln, um die Oberfläche besser betrachten zu können. Schwieriger war es beim vorsichtigen Tiefergehen, das kann je nach Gegebenheiten des Bodens mühselig sein. Ich tat mich am Anfang schwer mit dieser Aufgabe, da ich nicht wusste, wie viel ich jetzt abnehmen soll und wie tief ich nun schlussendlich gehen muss. Aber da musste ich durch, so wie viele schon vor mir und am Ende gelang es mir schon viel besser.

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Dabei gehen tiefergehen und putzen Hand in Hand, um stets einen guten Überblick zu haben und die Funde frühzeitig zu erkennen, in unserem Fall waren dies vornehmlich Keramikscherben. Da ich anfangs immer schnell noch tiefer gehen wollte und einfach im nicht abgetragenen Abraum weiter kratzte, zerhackte ich zugegebenermaßen die eine oder andere Scherbe. Ich habe daraus gelernt vorsichtig und bedacht zu arbeiten. Wir standen schließlich nicht unter Zeitdruck, von daher eigentlich kein Problem.

Der Fokus liegt anders, als bei Indiana Jones nicht darauf Funde zu machen, sondern die Kontexte in denen Funde auftreten möglichst genau zu erfassen. Also die Befunde aufzudecken und zu dokumentieren, bei uns waren dies Architektur und nuraghisches Mauerwerk. Daraus ergaben sich weitere Herausforderungen.

Denn der Boden war teilweise knüppelhart, um erkennen zu können, wie die Mauern genau verlaufen war es zudem wichtig beim Graben nicht einfach die Steine zu entfernen und dennoch so tief wie möglich zu kommen. Wir schauen uns nach jeder Schicht oder jedem Putzvorgang ganz genau die Steine an und überlegen, wie diese im Verhältnis zueinanderstehen. Beispielsweise ob bestimmte Steine in einer Reihe liegen oder früher evtl. aufeinandergelegen haben könnten und so zu einer verstürzten Mauer gehörten. Ich habe den Stein dann in Gedanken an die vermutete Stelle gehoben und mir vorgestellt, könnte der Stein – entsprechend seiner Form und Größe – dort hineingepasst haben oder nicht.

Von der Nuraghe Gruttiaqua ist lediglich das Fundament noch intakt und während das Meiste in der Vergangenheit verstürzte. So sind viele Steine den Hang hinunter auf das Villagio gerollt und haben sich mit den Steinen aus dem Schalenmauerwerk der Capanna vermischt. Weiteren Einfluss auf die Erhaltung hatte, dass diese verstürzten Steine im 18.-19. Jahrhundert von Hirten genutzt wurden, um Hütten und neue Mauern zu errichten. Hierzu nutzten sie teilweise noch die vorhandenen Fundamente der nuraghischen Mauern und bauten ihre eigenen darauf. Dadurch bestand an einer Stelle im Schnitt die Schwierigkeit, zu erkennen, wann das moderne Mauerwerk aufhört und das nuraghische Mauerwerk beginnt.

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Eine Hilfestellung geben uns die jeweiligen Schichten, wenn wir sie in ihrem Verlauf genau betrachten und die Schichten vorher datiert haben. Das funktionierte z.B. über die Keramik, die wir fanden. Zu Anfang trat rezente (moderne) und nuraghischer Keramik vermischt auf. Nach zwei Wochen Grabung landete dann nur noch nuraghische Keramik in der Fundbearbeitung. Ein sicheres Zeichen, dass es sich nun ausschließlich um ungestörte bronzezeitliche Schichten handelte.

Dafür ist es wichtig unterscheiden zu können, wo die Grenzen zwischen zwei Schichten verlaufen. Das fiel mir zunächst schwer, doch zum Glück hatte ich meine Schnittleiter:innen Johannes, Meryem, Philipp und Frau von Rüden, die mir bei Fragen und Problemen stets halfen. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle herzlich bedanken. Und dass ich – der totale Anfänger – nach meiner Einschätzung gefragt wurde, zum Beispiel, ob ich hier eine neue Struktur erkennen würde, hat mein Selbstvertrauen und meine Motivation gestärkt. Das Highlight war dann, dass ich am Ende der Kampagne meinen eigenen kleinen Befund ausgraben durfte.

Anhand des Projektnamens – „Landschaft machen“ – habt ihr es sicher schon gemerkt, die Arbeit bestand nicht nur aus der Ausgrabung an sich. Vielmehr standen auch landschaftsarchäologische Fragen im Vordergrund. Wie so ein Ansatz im Detail aussieht, hat Tim im Podcast erzählt (Link). Mit ihm durfte ich einen Tag im Gelände verbringen. Er beschäftigt sich in seiner Dissertation damit, wie die Landschaft von den Nuraghen aus auf den Betrachter wirkt und vice versa. Außerdem untersucht Tim, welchen Sinn und Nutzen die Nuraghen in der Landschaft erfüllten. Um die notwendigen Daten zu gewinnen, verfolgt er eine phänomenologische Methodik.  Daher wanderten wir  zu einer Nuraghen-Ruine und ich hatte die Aufgabe die Landschaft zu beschreiben, so wie sie von jeder der vier Haupthimmelsrichtungen auf mich wirkte. Eine entspannende Tätigkeit. Anschließend widmeten wir uns einer Akustikanalyse. Ich bekam ein GPS-Gerät und entfernte mich erst 50, 100, 150 und 200 Meter von Tims Standpunkt. Von diesen Punkten aus riefen wir uns zu und notierten, ob wir uns noch verstehen konnten. Dies machte mir nicht nur Spaß, es zeigte mir auch, wie vielfältig unser Fach ist. Nichtsdestotrotz war ich am Ende des Tages vom Laufen durch die Macchia erschöpft – aber gut gelaunt.

Ebenfalls eine schöne Abwechslung waren unsere Exkursionen an den freien Tagen. Diese führten uns zur Nuraghe Su Nuraxi und in mehrere Museen. Darunter das Museo archeologico nazionale in Cagliari. Dadurch habe ich ein besseres Verständnis dafür entwickelt, was wir ausgruben. Denn im Gegensatz zum zerscherbten Material in unserem Funddepot, konnte ich hier vollständig erhaltene nuraghische Keramikgefäße betrachten. Dadurch bekam ich ein besseres Gefühl für die Keramik.

Informativ und unterhaltsam war auch der Besuch von Frau Prof. Morstadt und ihrer Fundbearbeitungstruppe, der am Abend in der Strandbar und zu interessanten Gesprächen über Vasenmalereien, deren kultureller Bedeutung in Theater und Gesellschaft führte.

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Stichwort Fundbearbeitung. Diese ist auf jeder Ausgrabung unabdingbar und für die Nachbearbeitung der Funde verantwortlich. Da ich als Praktikant alle Arbeiten einmal kennenlernen sollte verbrachte ich dort etwa ein Drittel meiner Zeit. Zunächst wurden alle Funde gewaschen. Anschließend wurden diese fotografiert, gezeichnet, dokumentiert, sortiert, analysiert und in die Datenbank eingetragen. Das Spannende am Waschen war, dass sich dort wirklich zeigte, was wir oben auf dem Hügel eigentlich gefunden hatte. So wurden auf manchen Scherben Teile von Verzierungen und Bemalung sichtbar. Auch Knochen und besondere Steine wurden gewaschen. Die Keramikscherben wurden sodann nach Befunden sortiert. Anschließend wurden alle diagnostischen Stücke, das heißt alle Stücke, die einen Hinweis auf die Form oder Verwendung des Gefäßes geben können, aus dem sie stammten, gekennzeichnet und letztlich gezeichnet. Auf das Zeichnen hatte ich zugegebenermaßen am Anfang keine Lust. Jedoch fiel mir schnell auf, dass es gar nicht schwer und zudem eine lehrreiche Beschäftigung ist.

Nach meiner ersten Grabungskampagne kann ich konstatieren: Eine archäologische Grabung ist vielseitig in seinen Aufgaben und es ist im Grunde für Jeden etwas dabei. Wichtig für eine erfolgreiche Grabung sind ein gut eingespieltes Team, eine gute Organisation, aber auch Spontanität und Improvisationstalent. Denn es können immer Dinge passieren, die nicht eingeplant sind.

Letztendlich hat mir die Ausgrabung ein besseres Gefühl für all die Dinge vermittelt, die ich im bisherigen Studium nur theoretisch gelernt habe. Es ist vorteilhaft echte Steinstrukturen gedeutet, viel Keramik in den Händen gehabt und gezeichnet zu haben und zu verstehen wie eine Grabung abläuft. Z.B., welche Dokumentationsmethoden es gibt und welche Probleme und Schwierigkeiten sich hieraus ergeben können. Vor allem aber mit den Profis im täglichen Gespräch zu sein, mit ihnen zu arbeiten und von ihnen zu lernen.